CARRARA-MARMOR
Römische Prestigebauten; Michelangelos David; Waschbecken und Fußboden für die, die es sich leisten können.
Carrara-Marmor steht seit Jahrtausenden für Luxus, Macht und Beständigkeit. Doch was bedeutet der weltbekannte Marmor für die Stadt in der Toskana
und welche Auswirkungen hat die zunehmende Automatisierung für die Menschen?
Wieso kurbelt wohl jeder von uns den Abbau in Carrara weiter an?
Die Marmorberge von Carrara sind Touristenmagnet, Industriemotor und bestimmen das Leben von vielen Bewohnern der Stadt. Das Frantiscritti Tal ist eines von drei großen Abbaugebieten der Region, in die Serpentinen drängen sich etwa 30 Steinbrüche. Die weißen Steinbrüche sind über viele Kilometer zu sehen und wachsen jedes Jahr weiter.
Der weiße Marmor von Carrara ist weltweit für seine schneeweiße, leicht gelbliche Farbe bekannt und gilt als teuerste Marmorsorte überhaupt. Ein Block von zwei Kubikmetern hat einen Verkaufspreis von 5.000 - 10.000€ und ist aufgrund seiner einzigartigen Kristallstruktur die erste Wahl vieler Bildhauer.
Seit der Römerzeit wird in Carrara Marmor abgebaut. Bis vor einigen Jahrzehnten bauten die Bergleute den Marmor entlang der „Wuchsrichtung“ im Berg ab, sodass sich höhlenartige Schächte bildeten.
Durch die hohe Einsturzgefahr solcher Stollen ist seit einiger Zeit nur noch ein schichtweises Abtragen erlaubt, die „Marmorterrassen“ von Carrara prägen das Landschaftsbild. Moderne Werkzeuge machen die Arbeit sicherer, aber nicht ungefährlich. Im Schnitt stirbt pro Jahr ein Arbeiter in den Steinbrüchen. Man erzählt sich, dass sich der Begriff „Morte Bianca“ - weißer Tod - von den weißen Steinbrüchen in Carrara abgeleitet hat. „Morte Bianca“ ist der italienische Begriff für einen tödlichen Arbeitsunfall. Mit motorisierten Sägen wie der abgebildeten schneiden die Arbeiter im Akkord etwa 6*6*6m große Blöcke aus dem Berg, die später in kleinere Blöcke geteilt und mit Lastwagen abtransportiert werden.
Modelle aus Gips (links) dienen Künstler*innen seit Jahrhunderten als Anhaltspunkt und Schablone für die Arbeit am Marmor. Die gute Modellierbarkeit des Gipses ermöglicht eine langsame Annäherung an eine plastische Form, die in diesem Fall an einem menschlichen Rücken angelehnt ist.
Nachdem der Gips die gewünschte Form hat, wird sie in den Marmorblock übertragen. Dabei helfen dem Künstler Pierre Auzias nur ein Winkelmesser, Bleistift, Augenmaß und eine Flex.
Durch neue Technologien wird in den etwa 150 Steinbrüchen von Carrara ein Vielfaches an Marmor gewonnen wie noch vor 100 Jahren. Wo einst 100 Arbeiter gebraucht wurden, bedienen heute 10 die Maschinen.
Die sinkende Beschäftigung ist im ganzen Ort zu spüren.
Carrara gilt als Mekka der Bildhauerei. Künstler aus der ganzen Welt treffen in der norditalienischen Stadt zusammen - viele von ihnen arbeiten in kleinen, gemeinschaftlich geführten Künstlerateliers zwischen Stadt und Steinbruch.
Seit einigen Jahren werden Statuen aus Carrara-Marmor vermehrt in den Niedriglohnländern Osteuropas und China bearbeitet, aber auch in Carrara übernehmen Roboter die Arbeit der Bildhauer.
Künstler aus der ganzen Welt schaffen ihre Kunst am Computer und geben online eine Skulptur in Auftrag, die dann aus einem Block gefräst wird.
Die Kunstwerke kann man in den großen Galerien von New York, Paris und vielen weiteren Städten sehen.
Der Bildhauer und Maler Renzo Maggi (79) arbeitet seit 60 Jahren mit Marmor.
Er sieht die zunehmende Automatisierung durch Roboter in der Bildhauerei nicht als Gefahr.
Für ihn liegt ein Großteil der Kunst im Schaffensprozess, am schrittweisen herausarbeiten der „Seele des Werkes“ und in den Reaktionen auf die Eigenheiten jedes einzelnen Marmorblocks.
Durch den immer schneller voranschreitenden Abbau in Carrara wird in schätzungsweise 20-30 Jahren keine wirtschaftliche Marmorgewinnung mehr möglich sein.
Die Apuanischen Alpen kesseln die Region Massa-Carrara direkt am Mittelmeer ein. Das Gebirge bildet eine natürliche Regenbarriere zwischen Carrara am Mittelmeer und dem italienischen Inland.
Durch das Verschwinden der Berge regnen die Wolken sich nicht mehr im Gebirge ab, Winde strömen anders und Marmorstaub verstopft natürliche Grundwasserzugänge, der Regen versickert nicht mehr. Das Klima in Carrara ändert sich.
Kunstinstallationen von Studierenden der Kunstakademie und freien Künstlern prägen das Stadtbild.
Die renommierte „Accademia di Belle Arti di Carrara“ ermöglicht seit der Gründung im 18. Jahrhundert eine Ausbildung in bildenden Künsten, Malerei und Design.
Gleichermaßen prägt der Baustoff Marmor die Stadt; Hausfassaden, Fußböden, sogar Bordsteine sind in Carrara aus dem Gestein.
Erich Lucchetti, der Geschäftsführer von „Bruno Lucchetti - Marble & Granite“, besitzt drei Steinbrüche im Frantiscritti Tal von Carrara.
Seine Firma produziert Marmorfliesen, aber auch Granit und Quartzitprodukte. Die Firma wurde unter anderem aus Mitteln der EU subventioniert. Hunderte Firmen säumen die Straßen im Industriegebiet „Marina di Carrara“, der Marmor wird vom Hafen aus in die ganze Welt verschifft.
Von den 800.000 Tonnen Marmor, die jedes Jahr in Carrara aus dem Berg geschnitten werden, sind nur rund 20% für die Produktion von Fliesen, Waschbecken und Architektur geeignet.
Für die Bildhauerei sind es je nach Quelle zwischen einem und vier Prozent. Die restlichen 80% sind durch Einschlüsse oder sonstige Beschädigungen unbrauchbar. Sie werden noch im Steinbruch zu Schüttgut zerschlagen und im Industriegebiet „Marina di Carrara“ zu Staub zermahlen.
Der zu Staub gemahlene Marmor besteht größtenteils aus Calciumcarbonat und stellt ein Grundprodukt für viele Industrien dar. Er bildet die Basis für Zahnpasta, Kosmetika und wird als Füllstoff und für eine hohe Weiße bei der Papierherstellung zugemischt.
Zwei Mitglieder der Gruppe „Athamanta“, die nicht namentlich Genannt werden möchten.
Seit vier Jahren klärt die Aktivistengruppe die Bevölkerung über den Raubbau an der Natur, die Umweltverschmutzung und Missstände in den Steinbrüchen auf. Aus einer Fridays-for-Future Bewegung entstanden, organisieren die etwa 20 Mitglieder Demonstrationen und Kundgebungen.
Die 150 Steinbrüche sind im Besitz von wenigen Firmen, die Abbauverträge über 25 oder 50 Jahren mit der Stadt
geschlossen haben.
Seit vor hunderten Jahren die Steuern für die Branche drastisch reduziert wurden, um die Wirtschaft anzukurbeln, hat sich wenig daran geändert. Die Stadt Carrara sieht wenig von den Gewinnen, viele Steinbruchbesitzer leben in der reichen Nachbarstadt Pietro Santa. Die Gewinne fließen zu den Anteilseignern im Ausland, auch Familie Bin Laden ist investiert.